Rocker verurteilt Schütze frei…

Rocker verurteilt Schütze frei…

Auch beim zweiten Mal glaubt dem prügelnden Hells Angel niemand.
Ein Hells-Angel-Mitglied wurde für eine Prügelei mit einem Taxifahrer vom Bezirksgericht Lenzburg zu 20 Monaten bedingter Freiheitsstrafe verurteilt. Nun trafen sich die beiden wieder vor dem Obergericht. Der gewalttätige Hells Angel blitzte vor dem Obergericht ab.

Der Schulklasse, die dem Prozess am Obergericht gestern beiwohnte, präsentierte sich ein einheitliches Bild: Beide Beschuldigten tragen Glatze, die Hinterköpfe glänzen im künstlichen Licht.
Einst waren sie Kumpels – Stefan ging im Clublokal der Hells Angels ein und aus, verkaufte selbstgeschnitzte Totenköpfe.
Bis Roger im Mai 2010 ein Gerücht vernahm, das Stefan über ihn verbreitete:

Der Rocker soll mit Drogen handeln.

Der Hells Angel sah rot. Er fuhr zu Stefans Haus in der Region Lenzburg. Was dort genau geschah, wissen nur die beiden Männer. Fest steht, das der Rocker mit seinen Fäusten auf den Taxifahrer losging und ihn mit dem Sockel eines Box-Trainingsgeräts schlug. Stefan (Taxifahrer) feuerte einen Schuss ab, der die Hand des Rockers durchschlug.
Das Bezirksgericht Lenzburg sprach im September 2014 den Taxifahrer frei. Roger hingegen wurde wegen schwerer Körperverletzung und Erpressung – er hatte von Stefan unter Gewaltandrohung 5000 Franken als Wiedergutmachung für die „Gerüchte“ verlangt – verurteilt.
20 Monate Freiheitsstrafe und 10 500 Franken Geldstrafe bedingt, 2000 Franken Busse unbedingt.

Der Rocker zog das Urteil weiter ans Obergericht, um für sich einen Freispruch zu erlangen und Stefan zum Schuldigen zu machen. Beide Männer stehen grundsätzlich zu ihren Taten.
Beim Ablauf und der Frage, wer nun in Notwehr gehandelt hat, gehen ihre Geschichten jedoch gewaltig auseinander.

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Pistole stets griffbereit
Kaum habe ich die Tür geöffnet, habe ich eine kassiert bekommen, erzählte Stefan vor Gericht. Rückwärts sei er auf die Couch gefallen.
Der Hells Angel hört nicht auf mich zu schlagen, greift zum Boxgerät, an dessen Fuss sich ein 18 Kilogramm schwerer Sockel befindet.
Er hebt ihn auf, schlägt mich damit.

Ich griff zur Pistole, die am Boden lag, zielt auf Rogers Bauch und drückt ab. Roger hat Glück, die Kugel geht nur in die Hand.

Haben Sie immer eine Pistole am Boden liegen?, fragte die Richterin leicht irritiert.

„Ja, klar“, sagte Stefan. Schliesslich habe er sich alleine in der Villa aufgehalten. Um sich den rasenden Biker vom Leib zu halten, habe er geschossen.
Roger, der mit Hells Angels – Shirt unter dem Kapuzenpulli vor Gericht erschien, hat den Abend anders in Erinnerung.
Er habe Stefan zur Rede stellen wollen. Brutale Faustschläge habe er keine verteilt, Ohrfeigen mit der flachen Hand seien es gewesen.
Mühelos rezitierte der Biker vor Gericht ein Gespräch, dass er mit seinem Widersacher geführt haben will.
Er habe sich entschuldigt und als er wieder gehen wollte, habe Stefan auf ihn geschossen. Darauf habe er das Boxgerät aufgehoben und Stefan damit geschlagen. Mit der verletzten Hand notabene.
Die gut fünfstündige Berufungsverhandlung glich einem gut einstudierten Tanz, der zum zweiten Mal aufgeführt wurde.
Die Verteidiger führten übers Parkett, die Beschuldigten versuchten Schritt zu halten. Das Gesamtgericht legte mit Fragen Stolpersteine in den Weg:

Warum haben Sie nach dem ersten Schuss nicht sofort die Flucht ergriffen?

Kein Thema für Roger:

Ich wollte sichergehen, dass er kein zweites Mal schiessen konnte.

Unverblümt erzählte er, wie er damals den mit Wasser gefüllten Sockel des Boxgeräts mit beiden Händen hochgehoben und dem Taxifahrer über den Kopf gezogen hatte.

Wieso haben Sie keinen Warnschuss abgegeben?, lautete die Frage an Stefan.

Er hätte zuerst in die Luft oder wenigstens in Rogers Bein schiessen können, statt auf den Bauch zu zielen.

Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich hatte Todesangst und dachte, jetzt muss ich sterben, sagte Stefan, gelernter Maurer.

Sein Leben habe sich seit diesem Abend verändert. Er hat Angst vor einem Vergeltungsschlag der Hells Angels, das Clublokal meidet er.

Teilweise freigesprochen

Das Obergericht hielt schliesslich grösstenteils am Urteil der Vorinstanz fest. Stefan bleibt freigesprochen.
Da sich keiner der Männer an den genauen Wortlaut der Drohung erinnern konnte, fiel die Verurteilung wegen Erpressung weg.
Die Freiheitsstrafe wegen schwerer Körperverletzung sei mit 20 Monaten aber durchaus angemessen.
Dazu kommt eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen à 120 Franken, die Busse beträgt neu 300 Franken.

Danke Sluugy

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COMMENTS

  • Steppenwolf Steppenwolf

    Wer der Meinung ist, bei Gericht geht es um Wahrheit, der irrt. Es geht nicht um Wahrheit, sondern um das, was bewiesen werden kann.

    Und wie es sich nun wahrhaftig in praxi wirklich verhalten hat, wissen nur die beiden Kontrahenten selbst. Dass sie das eben nicht zum besten gegeben haben, versteht sich von selbst.

    Aber dann hätten sie doch gleich die Schnauze halten und den Disput wie Männer unter sich autragen können.

    Gruß mit Respekt, Steppenwolf

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  • Sprouchmaaster Sprouchmaaster

    …ja Männer gehen nicht vor Gericht!!

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